Horst Weichelsgärtner hat Hanaus erste Straßenbahn mit Hilfe der HSB als Modell nachgebaut
Hinter der Esszimmer-Bank von Horst Weichelsgärtner fährt sie gewissermaßen auf Kurzstrecke: die Hanauer Straßenbahn (HSB) aus dem HSB-Gründungsjahr 1908. Das Modell auf den Schienen im Maßstab 1:22,5 hat der 80-Jährige selbst gebaut. „Mit der Elektrischen ist mein Vater in den 1930er Jahren gefahren. Davon hat er seinerzeit sogar einen Film mit Kamera auf einem Stativ und mit Handkurbel gedreht“,andHand erzählt der Ur-Hanauer mit Lokalstolz. Dann dreht er das Zielschild auf dem Straßenbahnmodell: statt Beethovenplatz jetzt der Marktplatz – so wie die Linie 1 bis in den Zweiten Weltkrieg hinein im Original durch die schmucke Altstadt verkehrte.
Modellbahnen dieser Größe haben es Weichelsgärtner angetan. An Weihnachten lässt er sie alljährlich auf Schienen durchs Wohnzimmer fahren. Und Bastler ist der ehemalige Konstrukteur in einem Hanauer Unternehmen ohnehin, weitere Exponate in seiner Kesselstädter Wohnung zeugen davon.
Wie kam er dazu, dass er Hanaus Straßenbahn Nr. 1 nachbaute? Seine Frau Ingrid hatte in einem Innenstadt-Geschäft ein Modell der alten Elektrischen im Schaufenster gesehen. Mit diesem Geschenk wollte sie ihren Mann überraschen. Aber das Modell aus dem Schaufenster war nicht verkäuflich.
Dieser Umstand stachelte den Ehrgeiz des Bastlers an. Bei der HSB erhoffte er historische Baupläne zu finden. Damit konnte Michael Rüfer zwar nicht dienen. Aber der bei der HSB für Marketing und Vertrieb Zuständige zeigte Weichelsgärtner ein Straßenbahn-Modell aus der Schauvitrine, das zum hundertjährigen Bestehen der HSB 2008 entstanden war.
Das fotografierte der Kesselstädter von allen Seiten ab und machte sich ans Werk. Das Chassis eines bereits vorhandenen Modelleisenbahn-Wagens funktionierte er um und vollendete mit Kunststoffteilen die Hanauer Elektrische in viel Kleinarbeit. Verbunden mit Konstruktions-Feinheiten, für die teils die Drehbank im Werkzeugkeller nötig war. Und mit einem originalgetreuen Wappen mit verschnörkelten „H“- und „B“-Buchstaben auf der Straßenbahn – wobei es sich eben nicht um das Hanauer Stadtwappen handelt. Und mit der Reklame für die frühere Nicolay-Brauerei, deren Logo er von einem alten Plakat im heimischen Keller abzeichnete. Bei der Beschriftung behalf sich Weichelsgärtner einer Bruchköbeler Spezialfirma.
Die alte Elektrische hat Weichelsgärtner als Fahrschüler zwar nicht mehr erlebt. Aber beim Durchblättern einer HSB-Jubiläumsschrift erinnert er sich anhand von Fotos: „Den Schaffner habe ich auch gekannt“, erzählt er aus alten Zeiten. Und bei einem Bild mit HSB-Bus vor dem Kaufhof erinnert er sich: „Dort war anfangs ein tiefes Loch“ – eine Folge der Kriegszerstörung.
Die Weihnachtszeit ist jetzt für den begeisterten Zuschauer von „Eisenbahnromatik“-Sendungen in doppelter Hinsicht Modellbahn-Zeit: Neben den Zügen durchs Wohnzimmer über die Festtage fährt nun auch stets die erste Hanauer Straßenbahn automatisch am Esszimmer-Tisch. „Vom ersten Advent bis zum Feiertag der Heiligen Drei Könige am 6. Januar. Dann kommt die Elektrische erst mal wieder weg bis nächstes Jahr“, erzählt er.
Hanau, den 6. Dezember 2022 / jh